Zuerst erschienen in der FR.

Seit eineinhalb Jahren gibt es wieder deutlich mehr Hausbesetzungen in Frankfurt. Das hat mit dem erstaunlichen Erfolg der Aktionen zu tun.

An einem Samstag im Dezember wird aus Theorie sehr schnell Praxis. Bei einer Veranstaltung auf dem alten Frankfurter Uni-Campus Bockenheim geht es um linke Strategien für eine ökologische und solidarische Stadt. „Appellieren funktioniert nicht mehr“, sagt eine junge Frau. Nur mit Druck von unten sei etwas erreichbar. Und sie wirbt dafür, sich leerstehende Räume anzueignen, mit Leben zu füllen.

Zu diesem Zeitpunkt haben Frauen und Männer der Gruppe „Die Druckerei“ genau das bereits getan und die frühere Druckerei Dondorf in Nähe der Bockenheimer Warte zum zweiten Mal innerhalb nur weniger Monate besetzt. Sie wollen verhindern, dass das Backsteingebäude abgerissen wird, kämpfen für eine Nutzung als nichtkommerzielles Kulturzentrum. Als die Nachricht bekanntgegeben wird, bricht Jubel aus im Saal. Alles eilt zur Druckerei. Die junge Frau, Jule Liebig, gibt als Sprecherin der Gruppe vor dem Tor Statements zur Besetzung.

Besetzung eines Wohnhauses im Gallus führte zu Erfolg für Obdachlose

Sie ist längst die bekannteste linksradikale Aktivistin seit vielen Jahren in Frankfurt. Wenige Monate zuvor haben linke Gruppen der Polizei vorgeworfen, Liebig ständig zu kontrollieren und zu untersuchen – und sie damit zu schikanieren. Liebig lässt sich offenbar nicht entmutigen. Inzwischen spricht sie für die Gruppe, die am Samstag das leerstehende Berger Kino in Bornheim besetzt hat und als Kultur- und Begegnungsort nutzen will.

Hausbesetzungen gibt es in Frankfurt schon sehr lange. Die „Au“ in Rödelheim ist gar mehr als 40 Jahre besetzt. Seit etwa eineinhalb Jahren spielt dieses Mittel aber wieder eine große Rolle in der Stadt. Im Dezember 2022 besetzt eine linke Gruppe, die sich „Freiräume statt Glaspaläste“ nennt, ein früheres Wohnhaus an der Günderrodestraße im Gallus, das vor dem Abriss steht, um dort Menschen ohne Wohnung Unterkunft zu bieten. Die Aktion hat Erfolg. Die „FAZ“, der das Gebäude gehört, sieht von einer Räumung ab, erlaubt der mehrheitlich städtischen KEG, das Haus länger als vereinbart zu mieten. Diese wiederum gestattet es dem Kollektiv und zwei anderen Gruppen, dort übergangsweise Wohnungslose unterzubringen. Diese dürfen nur wenige Monate bleiben, dann aber in Räume auf einem früheren Betriebshof in Höchst umziehen, die die Stadt den Gruppen zur Verfügung stellt. Im Herbst leben dort mehr als 30 Menschen, der Bedarf ist freilich noch viel größer.

Konkrete Aktionen gelten der linken Szene als Mittel, um etwas zu erreichen

Der Erfolg dieser Hausbesetzung macht vielen in der linken Szene bis heute Mut. Die parlamentarische Linke ist schwach wie lange nicht, die Linksfraktion im Bundestag ist zerbrochen, die Linke in Hessen nicht mehr im Landtag vertreten. Linken Gruppen und Bündnissen gelingt es derzeit kaum, etwa für eine neue Wohnungspolitik zu mobilisieren. Das Beispiel Günderrodestraße aber zeigt für viele in Frankfurt: Mit konkreten, direkten Aktionen im Stadtteil lässt sich dennoch etwas erreichen.

In der Tat ist es in der jüngsten Zeit erstaunlich vielen Gruppen gelungen, mit Hausbesetzungen zumindest einen Teil ihrer Ziele zu verwirklichen. Die Dondorf-Druckerei wird gleich zweimal mit Gewalt geräumt. Kurz vor Weihnachten harren junge Menschen tagelang trotz Eiseskälte und miserabler Versorgung auf dem Dach des Backsteinbaus aus, bevor die Polizei sie gegen ihren Willen herunterholt.

Gaststättenräume in Bockenheim sind seit November besetzt

Inzwischen scheint aber klar, dass das Backsteingebäude nicht abgerissen wird. Das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, das die Immobilie durch einen Neubau ersetzen wollte, hat entnervt aufgegeben und sucht nun ein anderes Areal.

Eine andere Gruppe hält seit Ende November eine leerstehende Gaststätte an der Jordanstraße in Bockenheim besetzt und nutzt diese mit Duldung der Stadt, der die Immobilie gehört, als provisorisches Café und Stadtteiltreff. Die jungen Menschen, die unter dem Motto „We need homes to stay at home“ in der Hochzeit der Corona-Pandemie ihre Bauwagen auf einem Grundstück am Ostbahnhof im Ostend aufbauten, erhielten immerhin ein Ausweichareal in Kalbach.

Frankfurter CDU kritisiert Hausbesetzungen in scharfer Form

Für solche Erfolge gibt es einige Gründe. Den Gruppen gelingt es mit ihren Aktionen, bei Menschen auf Sympathie zu stoßen, die selbst nie auf die Idee kämen, eine Hausbesetzung zu unterstützen. Viele in Frankfurt stören sich vielleicht an den Mitteln, können die Ziele aber durchaus nachvollziehen, sehen ebenfalls die Notwendigkeit, Unterkünfte für Menschen ohne Wohnraum zu schaffen, sanierungsfähige Häuser vor dem Abriss zu bewahren, kulturelle Freiräume zu schaffen, Leerstand sinnvoll zu nutzen.

Wohlwollen prägt auch den Umgang der Stadtpolitik mit den Besetzungen. Vor allem Baudezernentin Sylvia Weber (SPD) macht keinen Hehl daraus, dass sie die Aktionen nicht für grundsätzlich verwerflich hält. Immer wieder kritisiert die CDU als größte Oppositionsfraktion Hausbesetzungen als „total illegal“ und fordert die Stadt auf, städtische Räume, wie das Haus Jordanstraße 3, umgehend räumen zu lassen.

Frankfurter Baudezernentin hat sich mehrmals für Projekte eingesetzt

Weber nennt die Besetzer:innen des Hauses hingegen „freundliche junge Menschen“, macht früh klar, dass sie kein Problem damit hat, wenn die Gruppe die Räume übergangsweise nutzt. Schon bei der Besetzung des Hauses im Gallus trug die Stadträtin maßgeblich zu einer Lösung bei, dem Bauwagencamp half sie bei der Suche nach einem Ersatzplatz.

Die FDP würde anders vorgehen, sieht die Stadt in der Pflicht, die „rechtsstaatliche Ordnung“ wiederherzustellen, wird sich in der Koalition damit aber nicht gegen Grüne und SPD durchsetzen können. Dass einige Stadtverordnete dieser Fraktionen zumindest die Ziele der Gruppen gut nachvollziehen können, ist nur das eine. Entscheidend ist die große Scheu des Bündnisses, zu dem noch die ebenfalls eher linke Volt-Fraktion zählt, Hausbesetzungen gewaltsam zu beenden, ihr Anspruch, anders vorzugehen, als zuletzt etwa das Land Hessen und die Goethe-Universität bei der Räumung der Dondorf-Druckerei. Unnötige Eskalationen, Bilder der Gewalt, will die große Mehrheit der Koalition unbedingt vermeiden.